Moderne Heilpädagogik begibt sich ständig neu auf die Gratwanderung zwischen der Notwendigkeit individueller Förderung für Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf und dem berechtigten Anspruch auf Teilhabe an der Gesellschaft.
Inklusion bedeutet einen radikalen Schritt - ein Schritt weg von der defizitorientierten Definition eines Menschen über eine Behinderung oder andere Einzelmerkmale, ein Schritt hin zu einer ressourcenorientierten Wahrnehmung jedes Menschen. Auf diese Weise verschwinden entwicklungshemmende Festlegungen.
Sie werden ersetzt durch eine authentische Begegnung zwischen Ich und Du. Denn letztlich geht es immer darum, in einem bestimmten Moment zu versuchen, die Individualität des Gegenüber so gut als möglich wahrzunehmen. Munterliegt enschliche Wahrnehmung zunächst per se Verzerrungen (Stichworte z.B.: Gestaltpsychologie / Wahrnehmungsfehler ... Psychodynamik: Abwehr- und Schutzfunktionen ...)
Dies bedeutet, dass der erste Schritt nicht ist, den Anderen als Objekt, dem ich "helfen" muss, zu konstruieren und alle möglichen Diagnostiken und Therapien "anzuwenden". Im Gegenteil, der erste Schritt ist, meine eigene Bedingtheit zu reflektieren, damit es gelingt, den Anderen möglichst unbefangen in seiner Entwicklung, seinen Wünschen und seiner Zukunftsplanung zu unterstützen. Wenn auf diesem Weg diagnostische, heilpädagogische oder therapeutische als sinnvoll erlebt werden, haben diese natürlich ihre Berechtigung. Immer jedoch muss dabei unabdingbar der Wille der Klient*innen proaktiv erfragt und berücksichtigt werden.
"Es ist normal, verschieden zu sein", so Richard von Weizsäcker als damaliger Bundespräsident bereits 1993. Inklusion sieht jede Form von "Behinderung" als integralen Teil der menschlichen Existenz und fordert die Gesellschaft heraus, individuelle Bedingtheiten, wie sie jeder Mensch mit sich trägt, als Quelle kultureller Bereicherung wertzuschätzen (Diversitätsansatz). In diesem Sinne kann es nicht um eine "Integration" von Menschen mit Behinderungen in eine diese Menschen aufnehmende Gesellschaft gehen, sondern um eine Entwicklung der gesamten Gesellschaft dahingehend, dass jeder Mensch als Individuum ohne Bedingung an allen Aspekten des kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens Teil haben kann und in seinem So-Sein wertgeschätzt wird. In diesem Sinne glauben wir auch daran, dass prinzipiell Wahlfreiheit bestehen muss, in welcher Schul- und Lebensform ein Mensch sich entwickeln will, aber dass es eine Vielfalt von Schul- und Lebensformen geben sollte, damit individuelle Bedürfnisse gelebt werden können.
Dass unsere Gesellschaft von diesem Ziel noch weit entfernt ist, ist dabei ebenso deutlich wie die Tatsache, dass keineswegs geklärt ist, wie der Spagat zwischen der Notwendigkeit individueller Förderung von Menschen mit schweren Behinderungen und dem Recht auf Inklusion in die Gesellschaft, die nur allzuoft keine inneren wie äußeren Räume für diese Förderung bereitstellt, gelöst werden soll. Auch kann es in einem inklusiven Ansatz selbstverständlich nicht darum gehen, das oft mit einer Behinderung verbundene Leid für die Betroffenen und ihre Familien schönzureden. Es ist normal, verschieden zu sein, aber manchmal ist es sehr schwer, eine Behinderung zu haben.
Daher führt der berechtigte und in der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen beschlossene Anspruch auf inklusive Teilhabe zu komplexen Fragestellungen in Pädagogik und sozialer Arbeit, deren Beantwortung noch lange dauern wird und das Engagement sämtlicher Mitglieder der Gesellschaft benötigt. Zu diesem Engagement gehört auch die grundlegende Erkenntnis eines jeden einzelnen, ebenfalls auf Inklusion angewiesen zu sein. Nur ein ressourcenorientierter Blick auf den einzelnen Menschen wird dessen Lebenswirklichkeit und Entwicklungs-Sehnsucht gerecht. So hoffen wir, auf dem langen Weg zu einer echten Inklusion, als Weiterbildungseinrichtung nach und nach einen Beitrag zu dieser weitreichenden und wichtigen Umwälzung unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit zu leisten.
Gerne hören wir Ihnen zu, wenn Sie anderer Meinung sind - nur ein authentischer Austausch mit authentischer Begegnung zwischen Ich und Du ermöglicht Entwicklung im Sinne aller Menschen, die diesen Planeten und seine Gesellschaften teilen.